Berlin, 2. Dezember
Zhang Sizhi
Sehr geehrte Frau Ministerin Zypries, sehr geehrte Damen und Herren,
heute Abend haben sich Ehrengäste und gute Freunde hier versammelt, alles ist von einer frühlingshaften Stimmung erfüllt. Es ist eine große Ehre für mich, in dieser Atmosphäre an der feierlichen Preisverleihung der Heinrich-Böll-Stiftung teilzunehmen.
Ich betrete erstmals den fruchtbaren deutschen Boden, der viele herausragende Persönlichkeiten, die einen Beitrag zur menschlichen Zivilisation geleistet haben, hervorgebracht hat und blicke begeistert zu den funkelnden Sternen auf.
Ich bin hierher gekommen, um mich zu bedanken und noch mehr, um zu lernen. Die großartigen Erfolge der deutschen Rechtswissenschaftler und Rechtsphilosophen besitzen für mich eine äußerst starke Anziehungskraft. Das nach dem Ende des Krieges neu entstandene psychische Gepräge und die engagierte Persönlichkeit des deutsches Volkes sowie die Rolle, die meine deutschen Kollegen beim Aufbau des staatlichen Rechtssystems spielen, sind es wert, dass man sie kennt und sich zum Beispiel nimmt. Ich bin also auch hier, um mehr zu erfahren und besser zu verstehen.
Ich komme aus dem fernen Osten und habe einen weiten Weg hinter mir. Denn ich teile die Anschauungen der Böll-Stiftung in Bezug auf Menschenrechte, Ökologie und Gewaltfreiheit.
Ich sehne mich nach Freiheit
Fehlt im Leben die Freiheit oder büßt man unerwartet die Menschenrechte ein, dann wird der Wert des Daseins geschmälert oder geht gar verloren. Martin Luther King wollte mit seinem schönen Traum, die düstere Wüste „in grüne Oasen der Freiheit und Gerechtigkeit zu verwandeln“, die Menschen zum Nachdenken anregen. Die Allegorie Wüsten in Oasen zu verwandeln, gibt vor allem Stoff zum Nachsinnen.
Ich schätze Gandhis Pazifismus, der davon ausgeht, dass „die menschliche Gerechtigkeit nicht auf der Grundlage von Gewalt entsteht“ und heiße es nicht gut, dass diejenigen, die wichtige Ämter innehaben, Gewalt missbrauchen, um die Schwachen zu unterdrücken.
Die Verbindung dieser Anschauungen kündet von einer und schafft eine rationale Gesellschaftsordnung. Eine perfekte gesellschaftliche Ordnung ist auf Demokratie und den Schutz des Rechtsstaates angewiesen. Das bedeutet nichts anderes als Vernunft, Abstimmung, Ausgleich und friedliche Ruhe. Die Verwirklichung einer solchen Ordnung wird die Lebensbedingungen von Millionen Menschen in den unteren Gesellschaftsschichten auf der ganzen Welt verbessern. Eine wunderschöne geistige Heimat, die auf Freiheit, Selbstachtung, Wohlstand und Brüderlichkeit basiert, eine Abkehr von Selbstherrlichkeit, Zerstörung, Ausbeutung und Terror – wie sehnen sich die Menschen danach!
Wir brauchen nicht zu verhehlen, dass es zwischen Ost und West hinsichtlich des kulturellen Hintergrundes und der Traditionen Unterschiede gibt. Das beweist, dass wir das Verständnis weiter fördern müssen. Gegenseitiges Verständnis muss nicht nur vom Geist der Zeit geprägt sein, sondern muss auch weitsichtig sein, anderenfalls erreicht man das Ziel von gegenseitiger Ergänzung und Hilfe, eines gemeinschaftlichen Engagements und der Förderung der gesellschaftlichen Entwicklung nicht. Obschon Kultur in verschiedene Gebiete eingeteilt wird, kann sie doch Staatsgrenzen überwinden.
Die Überschneidung und Vermischung unterschiedlicher herausragender Kulturen kann die Lebensordnung der menschlichen Gesellschaft letztlich in einer „wahren, guten und schönen“ Sphäre vereinen und eine glückliche Welt erschaffen. Die Heinrich-Böll-Stiftung als nicht-staatliche Organisation schlägt zur Erreichung dieses Ziels Brücken in alle Welt und ist ein Wegbereiter, dessen Erfolge weit in die Zukunft reichen. Wir sehen dem Bau einer „Brücke der Anwälte“ entgegen, die die vorbeieilenden Reisenden zu zahlreichen Schülern transformiert und zum großartigen Glanz einer zivilisierten, rechtsstaatlichen Ordnung beiträgt. Nutznießer wird nicht nur der ferne Osten sein!
Das ist ein weiterer Traum von mir.
Lassen Sie mich zur Realität zurückkehren. In meinem Heimatland wird die Verwirklichung von hohen Idealen dadurch behindert, dass Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Umweltsituation einer weiteren Verbesserung bedürfen. Böll hat ganz richtig gesagt, dass die Menschenrechte erkämpft werden müssen. Natürliche Menschenrechte bekommt man nicht ohne Kampf. Und das gibt den Anwälten ein weites Betätigungsfeld. Die Menschen erwarten noch mehr und noch größere Verbesserungen. Der Kern ist „Kampf“ und danach „Schutz“. Das Problem ist, dass die chinesischen Anwälte wegen der äußerst schnellen Entwicklung einige grundlegende Mankos haben und disparat sind. Das berufliche Umfeld ist auch nicht allseitig zufriedenstellend. Aufmerksamkeit von außen und Verlass auf Unterstützung sollten nicht ausgeschlossen werden, aber zu guter Letzt hat Veränderung ihren Ursprung im Inneren, beginnt bei einem selbst und muss sich auf die eigenen Bemühungen stützen.
Schwierige Verhältnisse schleifen und schmieden gerade die Fähigkeiten, die Selbstkultivierung, den Willen und die Charakterstärke. Zur Zeit wachsen einige hochbegabte junge Leute als Stützpfeiler heran und reifen. In ihnen liegt unsere Hoffnung. Die 140.000 chinesischen Anwälte können mit ihrer wichtigen, Ehrfurcht gebietenden Erscheinung durch glaubwürdige Leistungen die Gerechtigkeit und Autorität der Rechts widerspiegeln, die Faszination des Rechts verkörpern und guten Gewissens der Welt bekannt geben: Anwälte sind von Natur aus Menschenrechtsaktivisten und somit eine solide Stütze der Demokratie und Rechtsordnung, sie sind eine unersetzbare Kraft beim Vorantreiben ihrer Verwirklichung.
Der Petra-Kelly-Preis 2008 der Heinrich-Böll-Stiftung wird an einen chinesischen Anwalt aus dem fernen Osten verliehen. Das ist ein Ansporn für alle Anwälte! Ich fühle mich sehr beschämt, weil ich doch gar keinen Beitrag geleistet habe. Tröstlich ist, dass es, aufgestiegen in die große Sphäre mit den höchsten und aufrichtigsten Wünschen, eine andere Einschätzung gibt. Die heutige Feierlichkeit wird für mein berufliches Leben ein einzigartiges „Aufwärmtraining“ sein. Ich werde mir Churchills Eid im Krieg zum Vorbild nehmen und „Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß opfern“, die schwachen Kräfte stützen und furchtlos voranschreiten.
Ich wage nicht, die Hindernisse und Widerstände, die auf dem Weg vor mir liegen, zu unterschätzen, aber selbst wenn es immer wieder Gefahren gibt, werde ich niemals deswegen Hoffnungslosigkeit aufkeimen lassen. Hoffnungslosigkeit und Hoffnung sind manchmal nur einen Schritt von einander entfernt. Weisheit, ein kühner Geist, Entschlossenheit und Einigkeit tragen zum Erreichen des Ziels bei. Mit Blick auf die Zukunft gibt es keinen Grund, pessimistisch zu sein. Der Schlüssel liegt in einer permanenten Verteidigung der Überzeugungen und ununterbrochenem Lernen. Ich schwöre beim Untergang der Abendsonne im Westen, dass wir einem strahlenden Frühling, in dessen kristallklarem Morgentau sich die Erdenwelt spiegelt, entgegengehen.
Ich bin aufrichtigen Herzens voller Dankbarkeit für die Ehre, die mir entgegengebracht wird. Gestatten Sie mir Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren, fest die Hand zu reichen.
„Im fernen Osten geht gerade die Sonne auf.“
Vielen Dank.
Übersetzung: Katrin Buchta